Der Startschuss für die Anzucht ist gefallen! Ab jetzt wachsen alle um die Wette.
Laut meinem sorgfältig ausgetüftelten Anzuchtkalender hätten bereits Mitte Januar die ersten Saatkörnchen in die Erde gemusst. Natürlich kam es wieder mal ganz anders als gedacht und das Leben beschloss, sich wieder einmal interessanter zu gestalten, als es sonst gewesen wäre, wenn alles glattlaufen würde: Das Saatgut wurde nach Dortmund zu unserer Wohnung geliefert; der Sack Anzuchterde (einziger Wermutstropfen: sie ist leider unvegan) ist dort auch irgendwie gelandet und die Aussaattöpfchen – die Quickpots – warteten ungeduldig in Fruitlands. David war einige Tage krank, ich stresste mich gleichzeitig mit Abschlussklausuren für zwei Vorlesungen, dann gab das Auto auch noch den Geist auf, konnte aber repariert werden und dann waren auch schon Semesterferien und ich verlagerte deshalb meinen Wohnsitz wieder kurzzeitig nach Dortmund, um endlich mal wieder längere Zeit mit David zu verbringen. Und ja, wir waren natürlich so geistesgegenwärtig, die Quickpots einzupacken und mitzunehmen, sodass wir Anfang Februar also endlich mit der Aussaat beginnen konnten. Wider Erwarten sind wir jetzt also mit Sack und Pack einen Großteil der Zeit in Dortmund und kümmern uns hier, in der Fruitlands-Außenstelle West sozusagen, um die Ausaat der ersten Sätze.
Den Auftakt machte ein Kopfsalat mit Namen Viktoria, nebst einigen anderen Kulturen. Kopfsalat keimt gerne bei etwas kühleren Temperaturen (12 – 16°C), also stellten wir sie in den kühlsten Raum unserer Wohnung. Die Chilisamen erhielten eine eigene Anzuchtplatte und sogar ein eigenes Zimmer, nämlich das kleinste, in dem es immer viel zu warm ist, wenn die Heizung aufgedreht und die Tür verschlossen ist. Gut für unsere südländischen Freunde, die es gerne mollig warm haben und Temperaturen von 22 – 30°C benötigen, um sich aus ihrem Samen zu bequemen. Ich müsste bloß mal die Luftfeuchtigkeit erhöhen, das mögen sie auch. Bis jetzt haben sie sich aber noch nicht blicken lassen; das kann wohl bis zu einem Monat dauern. Geduld ist eine Tugend, die ich mir erst noch aneignen muss.
Das erste Grün traut sich raus
Der Salat überraschte uns schon nach drei Tagen mit einem Heer zarter schlanker Keimlinge, die sich verzweifelt Richtung Fenster reckten. Als ich sie mit einem „Was, jetzt schon?“ bemerkte, verfrachtete ich sie sofort in einen wärmeren und vor allem helleren Raum mit Logenplatz direkt am großen Fenster des Südbalkons. Heute ist der dritte Tag, an dem sie schon ein bisschen Zeit im Freien verbringen durften, denn um die Mittagszeit ist es momentan sehr frühlingshaft warm und sonnig draußen. Ich befürchte ein bisschen, dass die Keimlinge vergeilen könnten, wenn sie keinen Wind abkriegen. Andererseits habe ich Angst, dass ihnen draußen die direkte Südsonne zuviel ist – sie sind doch noch so klein und fragil. Kaum hat man Kinder, macht man sich ununterbrochen Sorgen! Bin ich eine Übermutter?
Der Knollenziest hingegen, eine interessante, fast vergessene Nutzpflanze mit lustigen madenartigen Knollen, hat da irgendetwas falsch verstanden. Laut Umverpackung sollten die kleinen Saatknollen nämlich bis zur Pflanzung in feuchte Erde eingeschlagen werden, weil sie sonst vertrocknen würden. Also habe ich getan, wie mir geheißen. Der Knollenziest interpretierte das wohl als Einpflanzen und keimt jetzt fröhlich in protzendem Grün vor sich hin. Man kann fast zugucken, wie er wächst! Er wirkt ziemlich robust; ein Kraut, das weiß, was es will, und es will wachsen. Hätte er sich mal mit dem Bärlauch ausgetauscht, der mit der selben Lieferung ankam und ebenfalls in Sand oder Erde eingelagert werden musste. Der hat das Prinzip nämlich verstanden und schlummert noch in seinem Blumenpott vor sich hin.
Unbekannte Gesichter
Übrigens finde ich es immer toll, wenn ich eine Kultur zum ersten Mal aussäe. Ich bin immer gespannt, wie die Pflanze aussieht. Jeder Keimling hat ein anderes Gesicht, andere Keimblättchen, eine andere Statur, je nach Sorte. Das sind nicht einfach Stängel mit irgendwelchen Blättern. Wenn ich mit eigenen Augen sehe, wie zum Beispiel eine wenige Tage alte Lupine aussieht (wie ein Alien), dann habe ich das Gefühl, die Pflanze hat mir jetzt mehr beigebracht als irgendeine Vorlesung über Linguistik oder sonstirgendwas. Und nein, es ist nicht zu vergleichen, mal eben nach Lupinenkeimlingenfotos zu googeln, oder stattdessen jeden Morgen in der Realität dieses kleine wachsende Lebewesen anzuschauen und über das Wunder des Lebens zu staunen. Das Leben lässt sich nicht googeln.
Neben einigen anderen alltäglichen Wirren, die mich in diesen Tagen beschäftigen, bin ich zurzeit einfach überglücklich, endlich wieder kleinen Pflanzen das Leben schenken zu dürfen und mich auf das zu freuen, das mich dieses Jahr erwartet. Es gibt keine schönere Art, mit durch und durch positiver Gewissheit in die Zukunft zu blicken.
To plant a garden is to believe in tomorrow.