Mehr Wasser. Mehr Holz. Mehr Sonnenfalle. Mehr Lounge. Mehr Müll.
Tja, es lässt sich immer schwieriger leugnen. Der Herbst naht. Schon der Wetterbericht am Freitag verkündete ein durchgängig verregnetes Wochenende, und die nächtliche Fahrt verheißt nichts Gutes. Je näher wir unserem Zuhause kommen, desto größere Wassermassen ergießen sich vom Himmel auf unseren faradayischen Käfig, der aussieht wie ein rasendes Riesenlakritz. Bei Fruitlands angekommen, watet David durch den reizenden kleinen See, der sich am Fuße der Einfahrt gebildet hat, um das Tor aufzuschließen. Am oberen Ende der Einfahrt bin ich dann diejenige, die durch einen zweiten, nicht minder kleinen, nicht minder tiefen, nicht minder reizenden See stapft, um das zweite Tor zu öffnen, während es weiterhin in Strömen gießt. Endlich sind wir beim Haus. Heute kommt ausnahmsweise mal kein aufgeregter weißer Schatten angetrabt, der uns voller Vorfreude auf seine erste Ladung Trockenfutter lauthals begrüßt. Kann ich ihm nicht verdenken. Bei dem Wetter. Obwohl es schon zwei Uhr nachts ist und wir liebend gern zu Bett gehen würden, machen wir eine kurze Inspektion des Wohnhauses, um seine Wasserdichtigkeit zu katalogisieren. Knackpunkt 1: Ein Rinnsal, das sich im Windfang von der Decke die Wand hinunter bis zum Boden zieht. Knackpunkt 2 und 3: Innen vom Dachboden aus zu sehen je ein Rinnsal an der südlichen und nördlichen Dachgaube. Die Dächer sind also dicht, das meiste von ihnen jedenfalls.
Die Quelle in der Wand
Knackpunkt 4: Ein stetiges penetrantes Plätschern, das uns darauf hinweist, dass wir jetzt endlich den Hauptmangel der Immobilie, der ihr letztlich auch zu einem guten Teil ihren niedligen Preis beschert hat, live und in Farbe erleben können: Wasser im Keller, und nicht zu knapp. Mit Taschenlampen ausgerüstet steigt David in die muffigen Gewölbe hinab. Der Pumpensumpf füllt sich durch ein im Kellerboden verlegtes Rohr, das irgendwo im Raum einfach anfängt, denn der aus gestampftem Lehm bestehende Boden steht gut unter Wasser und das Wasser aus der Kellerbodenpfütze findet bald seinen Weg zum Rohranfang. Ich möchte gerne wissen, woher das Wasser genau kommt. Direkt aus dem Boden? Irgendwo von der Seite? Steigt es auch im Pumpensumpf selbst von unten an? David erzählt es mir bei seiner Rückkehr aus den Eingeweiden der Erde. Aus der nördlichen Hauswand entspringen mehrere kleine Quellen, die sich sprudelnd ihren Weg über den Kellerboden zu besagtem Rohr bahnen. David schwärmt davon, wie rein und klar das frische Quellwasser ist, wenn es aus der Wand kommt. Ich hingegen denke zum x-ten Mal darüber nach, wie wir den Pumpensumpf ohne viel Aufwand leeren können, ohne dauerhaft Strom dafür zu verschwenden. Wir besitzen zwar eine elektrische Wasserpumpe, aber ich sehe es wirklich nicht ein, mit hohem finanziellem und ressourcenverbrauchenden Einsatz Wasser entgegen seiner Natur mehrere Meter nach oben zu pumpen, wenn es doch Schwerkraft gibt. Das Problem ist allerdings, dass sich der Pumpensumpf am tiefsten Punkt des gesamten Grundstücks befindet, oder vielmehr: Dass er der tiefste Punkt des Grundstücks ist.
Kombiniere: Das Wasser möchte offenbar die Hangneigung hinabfließen. Bloß steht ihm dafür das Haus im Weg. Also frisst es sich durch die Wand und fließt dann weiter. Es möchte also einfach nur unter dem Haus hindurchfließen. Mit diesem Wissen muss sich doch eine Lösung finden lassen? Für unkonventionelle Vorschläge bin ich jedenfalls offen und dankbar. Und eigentlich ist es ganz toll, dass hier soviel Wasser ist. Wasser ist der Inbegriff allen Lebens, es hat Energie und ist in Bewegung. Zu versuchen, Wasser auszusperren oder einzusperren halte ich für unvernünftig. Mein Gefühl sagt mir, dass das mächtig schiefgehen kann, weil das Wasser — oder die Natur — letzten Endes doch gewinnt. Immerhin war das Wasser zuerst da, und dann ich. Ich bin sowieso nur zu Gast hier auf der Welt. Also möchte ich Kompromisse finden und mich so mit dem Wasser arrangieren, dass auch ich einen positiven Effekt davon habe. Wie dieser Kompromiss aussieht, wird sich noch zeigen. Denkbar wäre zum Beispiel, und ich wäre stark dafür!, im Keller ein Trimmrad zu installieren, durch das bei Benutzung eine Wasserpumpe oder ein Schaufelrad angetrieben wird, das das Wasser hinausbefördert, um es in einen Teich zu leiten, von wo es dann vielleicht noch durch einen Überlauf in ein angrenzendes Moorbeet mit Heidelbeersträuchern weiterfließt und schließlich in einem Swale landet, durch den weitere Pflanzen dauerhaft bewässert werden.
Ein gemütlicher Samstag
Am Samstag male ich mir aus, wie mein Blogeintrag aussehen wird. Kurz und langweilig. „Dieses Wochenende war nicht wirklich ein Aktionswochenende, denn draußen hat es ununterbrochen wie aus Eimern geschüttet und drinnen haben wir es uns währenddessen gemütlich gemacht und rumgegammelt. Punkt.“ Unsere Motivation, auch nur irgendetwas Produktives zu machen, strebt gegen Null, und tatsächlich kuscheln wir uns die meiste Zeit des Tages einfach nur ins Bett, lauschen dem tosenden Unwetter, hängen im Wohnzimmer herum und essen Mohn-Marzipan-Kuchen. Ein richtiger herbstlicher Gammeltag. Einen Erfolg können wir dennoch verzeichnen: Wärme! Denn so langsam wird es im Haus ein wenig frisch. Das Haus verfügt über keine Fernwärmeheizung oder Derartiges. Es hat zwei Holzöfen und zwei Ölöfen. Wir haben uns gegen die Benutzung letzterer entschieden, weil, naja, weil es Öl ist, dass da leichtfertig aus Jux verbrannt wird, obwohl es doch so viele andere Möglichkeiten der Wärmeerzeugung gibt. Bleiben also vorerst die beiden Holzöfen. Einer befindet sich im Wohnzimmer, der zweite im Vorraum der Küche (war einst ein Esszimmer, momentan ist es Werkzeuglager, zukünftige Funktion: unbekannt). Ich rumore im hinteren Raum der Scheune herum, dort, wo das Holz lagert, und sammle zunächst eine Schublade voller Anmachholz. Danach füllen wir einen Korb voll mit Holzscheiten, Ästen, Sperrholzstücken und solcherlei und bringen alles ins Haus. Und Heureka! — die Öfen funktionieren! Das Feuer lodert zuverlässig in seiner eisernen Kammer, das Ofenrohr wird heißer und heißer und strahlt seine wärmespendende Corona an uns, die wir uns davor tummeln; die Temparatur im Wohnzimmer steigt stetig an. Nach nicht einmal einer halben Stunde ist es mollig warm in dem Raum. Warm und trocken. Die Luft duftet angenehm nach Holz und Feuer. Das Knacken der Holzscheite ist beruhigend und meditativ. Von außen schlagen dicke Regentropfen gegen die Fensterscheiben, während der Wind über die Felder heult und die peitschenden Baumkronen rauschend ihre zerzausten Blätter durch die Luft wirbeln lassen. Hier ist es mollig warm und trocken. Ich bin dankbar für den Holzofen.
Im Holzwahn
Am Sonntagmorgen weckt mich kein Regen, sondern der Wind. Was bedeutet: es ist trocken! Es hat wirklich aufgehört zu regnen, und ich kann nach den Pflanzen sehen. Das Quadratbeet sieht einfach fantastisch aus. Kohlrabi, Grünkohl, Rukola, Minze und Rüben sind kräftig gewachsen. Die Clematis am Zaun sehen noch ganz gut aus, außer dass eine von ihnen alle Blütenblätter abgeworfen hat. Der Wind scheint ihr sehr zuzusetzen. Die Beerensträucher sehen auch okay aus, aber zwei, drei von ihnen verlieren ihr Laub. Ich nehme an, das das im Herbst normal ist. Die Minzen und Rukolas unter den Sträuchern gedeihen jedenfalls wie bescheuert und fühlen sich unter ihren großen schützenden Kollegen offenbar wohl.
Nach diesem Rundgang lässt mich eine Sache nicht mehr los. Holz. Ich habe das Holz seit gestern wirklich schätzengelernt. Da ich ja in vier Wochen dauerhaft hier einziehen werde, muss ich mir langsam Gedanken darum machen, den doch recht strengen Winter im Südharz zu überstehen. Die Nachbarn haben schon Gruselgeschichten von Haustüren erzählt, die an andere Stelle versetzt werden mussten, weil sich an der ursprünglichen Stelle im Winter stets zwei Meter hohe Schneewehen auftürmen. Ich male mir aus, mich bei Minus zwölf Grad und Schneegestöber in die Scheune kämpfen zu müssen und dort nur die vielen langen Holzbretter und -reste vorzufinden, die erst noch zugesägt werden müssen. Oder schlimmer noch: Es ist Holz vorhanden, aber so nass, dass es nicht verwendet werden kann. Also: Jetzt schon an den Winter denken — Holz organisieren! Ich bin im Holzfieber. Die beiden gigantischen Stapel aus Telegrafenmästen sind meine erste Anlaufstelle. Sobald wir Strom und eine strombetriebene Kettensäge haben, werden sie kurz und klein gemacht. Aber das dauert noch. Bis dahin ziehe ich jeden greifbaren Ast, jeden Baumstumpf und jedes Brett aus den Stapeln und bringe alles, was ich tragen kann, zum Trocknen in die Scheune. Alle Holzbretter, die überall auf dem Grundstück irgendwo anlehnen oder herumliegen, werden ebenfalls von mir eingesackt und ins Lager gebracht. Eine morsche Schrotmühle, halb Holz und halb Eisen, muss auch dran glauben und wird von mir systematisch auseinandergenommen. Die sechs aufgequollenen Sperrholzplatten, jede einzelne etwa zwei Quadratmeter groß, welche außen an einer Wand lehnen, kann ich Stück für Stück kleinbrechen, muss zwischendurch aber immer Pausen einlegen, damit die ganzen Tierchen flüchten können, die sich dort eingenistet haben. Schön zu sehen, wie überall das Leben tobt! Das Holzlager füllt sich zusehends.
Bei meinem Streifzug über das Grundstück entdecke ich Glückspilz einen riesigen Holzvorrat aus handlich zersägten Baumstämmen und fetten Ästen; etwa zehn Meter lang und einen Meter hoch ist der Berg! Ich finde es immer wieder faszinierend, wie groß unser Grundstück ist, und dass es immer noch Ecken gibt, in denen ich noch nie gewesen bin, und dass man solch etwas Großes wie einen zehn mal einen Meter messenden Holzberg auch nach zwei Monaten einfach noch nicht bemerkt hat. Ja, das geht hier tatsächlich! Ich liebe mein Fruitlands, ich liebe es einfach.
Eine besondere Überraschung erlebe ich außerdem, als ich ein Brett und einen Ast von der südlichen Scheunenwand wegnehme. Eine Tigerschnecke hat sich in einer geschützten Ecke zusammengeballt. Vorsichtig nehme ich sie auf die Hand und betrachte es, das Weichtier des Jahres 2005 und leider viel zu seltener Gast in heimischen Gärten, frisst diese Art doch Eier anderer Nacktschnecken und sogar ausgewachsene Exemplare anderer Schnegel. Sie ist mehr Pardel als Tiger und mehr Schnegel als Schnecke, aber Pardelschnegel war wohl ein zu beklopptes Wort bei der Namensfindung, nehme ich an. Nach einer kleinen Fotosession setze ich das hübsche Tier an einem überwuchertem Steinhaufen an der Meditationshütte aus.
Wie Nichtstun in Fortschritt umschlägt
Inzwischen ist auch David mit von der Partie und hilft mir zwischenzeitlich beim Holzhunting, widmet sich aber die meiste Zeit seinen eigenen Projekten. Er schleppt die restlichen Steine aus dem Stall und schichtet sie draußen zu einer wunderschön kurvenreich gewundenen Sonnenfalle auf. Nicht ganz konventionell, wie die Permakultur es vorsieht, aber sie wird sicherlich trotzdem ihren Dienst tun. Schön ist sie allemal.
Der Stall selbst ist am Ende des Tages kaum wiederzuerkennen. Aus dem vollgestopften, kotverdreckten Moloch ist ein doch recht ansehnlich großer Raum mit ebenem Steinboden geworden. Alles an vergammelten Exkrementen hat David rausgeschaufelt, die Spinnweben sind einigermaßen eingedämmt, der Müll weg, Steinhaufen weg, Stroh weg, ein Teil des rostigen Eisengitters bereits abgeschliffen, der Hubwagen beiseitegeräumt. Natürlich sind die Wände immer noch total runtergerockt und die großen Öltanks stehen immer noch dort, wo einmal eine Sauna oder ein Kamin mit plüschigen Ohrensesseln sein soll, aber die Veränderung hin zur exklusiven Lounge (vielleicht nennen wir sie „CrowBar“) schreitet unverkennbar großen Fußes voran.
Meine Wenigkeit ist derweil auf einer neuen Mission. Der Müll, der hier überall herumliegt, wird mir immer mehr unerträglich. Mir ist es schleierhaft, wie jemand hier so leben konnte, und wie man an allen Ecken und Enden so große Mengen Unrat hinschmeißen kann, im eigenen Lebensraum! Immer wieder bin ich verblüfft, wie verwahrlost dieses arme, zauberhafte Grundstück doch ist. Es wurde in der Vergangenheit offenbar nicht so liebgehabt wie jetzt von uns. Egal, wo man geht und steht, es liegt Müll herum. Deshalb fasse ich den Entschluss, alles, aber auch wirklich alles, was ich an Müll finde, zusammenzutragen und an einer Stelle zu lagern, um einen Überblick zu haben, wie viele Container wir brauchen werden, um das alles entsorgen zu lassen. Der hinterste der drei Räume im Waschhaus wird als Lagerstätte auserkoren. Dort kann der Müll wenigstens nicht zuwuchern oder sonstwie bei Wind und Wetter auf dem Grundstück verlorengehen oder auskippen. Also mache ich mich an die undankbare Aufgabe, Müll zusammenzutragen. Viele Stunden gehen dafür drauf und damit der gesamte Rest des Sonntags. Und ich bin zum Ende des Tages nicht fertiggeworden. Es ist unglaublich, wieviel Müll ich finde! Einen Kühlschrank und zwei Gefrierschränke, Plastikplanen und Planschbecken, zerbrochenes Plastik und kaputtes Werkzeug, Spielzeug und Tassen. Ton, Steine, Scherben. Benzinkanister und Lampen, Glas, Schläuche und Rohre, Kinderfotos und Wurstpackungen, schmutzige Stofftiere und saubergenagte Tierknochen, geschmolzene Bitumenmatten und Plastikschalen. Einen fast leeren Zwanzig-Liter-Kanister, in dem laut Etikett einmal Roundup war, der aber kurioserweise jetzt laut handschriftlichem Vermerk mit Pflanzendünger gefüllt ist. What the fuck?!? Ich kreuche zwischen Disteln und Brennnesseln, reiße mit Gras zugewachsenen Müll aus den letzten Ecken unserer Wiesen, klaube schubkarrenweise Unrat aus dem kleinen Scheunenanbau, der bis dato scheinbar für nichts anderes als als Müllabladestelle diente, schleppe einen mit Plastik beschichteten demontierten Küchenschrank und eine kaputte Mörtelwanne voller Müll herbei, schichte Styroporplatten aufeinander und fülle einen Senfgurkeneimer nach dem anderen mit allen erdenklichen ekligen, kaputten, vermoderten, siffigen Dingen. Es ist einfach nur abartig!
Am Ende des Tages bin ich fix und alle, aber noch lange nicht fertig. Es fehlen noch die Sachen aus dem Keller (Schränke, eingewecktes undefinierbares Zeug in Gläsern, angebrochene Gebinde Putz und Mörtel und diverse andere Dinge), außerdem der Sperrmüll vom Dachboden, ferner die wohl fast einhundert leeren Benzinkanister vom Dachboden des Waschhauses sowie die Gasflaschen, Autobatterien und das andere Zeug hinter der Scheune. Und ich befürchte, dass immer wieder neuer Müll auftauchen wird. Momentan ist es jedenfalls so. Man geht irgendwo herum oder ist irgendwo drinnen, guckt irgendwo hin oder hinein, und mit ziemlich großer Wahscheinlichkeit liegt dort ein Haufen Müll. David sagt, dass das Grundstück nach meiner mehrstündigen Entmüllungsaktion schon ganz anders wirkt. Trotzdem wäre ich gerne fertiggeworden. Ich bin froh, dass der Sonntag dann doch noch für soviel Produktivität genutzt werden konnte und dass wir nicht das ganze Wochenende mit Nichtstun verbracht haben, wie wir es erst befürchtet hatten!